Derdeba-Ritual in der City-Kirche St. Jakob

Erstmals findet in Zürich eine Lila statt, ein altes Derdeba-Ritual aus Marrakesch. Unter der Leitung von Maya Farner und Kamal Essahbi führen erfahrene Musiker und Musikerinnen aus der Tradition des Hadhra und Gnawa durch Gesang, Rhythmus und Tanz in eine Erfahrung der heilsamen Trance.

 

Eine einmalige Gelegenheit, seiner Seele aus einer anderen Perspektive neu zu begegnen.

City-Kirche St. Jakob, 8. Oktober 2016, 19.30 - 23.00 h.

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Jürg von Ins im Gespräch mit Maya Farner

 

„Lila mit Gnawa & Hadhra“ steht auf dem Flyer für Deine Aktion vom 8. Oktober in der Citykirche St.Jakob in Zürich. Dazu ein buntes Bild mit verschwommenen Formen. Worum geht es da?

Gnawa und Hadhra sind vorislamische Religionen, die von Sklaven aus Senegal und Mali nach Marokko gebracht wurden. Ich habe sie in Marrakesch entdeckt. Lila oder Derdeba heisst das Ritual, in dessen Vollzug die Götter der Gnawa- und Hadhra-Tradition von den Tänzerinnen und Tänzern Besitz ergreifen können.

 

Du führst also in der Kirche ein afrikanisches Besessenheitsritual auf?

Ja, aber es gibt nur Teilnehmende, keine Zuschauer. Und natürlich bringe ich meinen westlichen und dadurch christlich geprägten Hintergrund mit. Das Ritual muss neue Formen annehmen, um europäische Menschen ergreifen zu können.

 

Wie fühlen sich denn dabei die marokkanischen Ritualkundigen, die du eigens für diesen Anlass einfliegen lässt?

Es war ihre Idee. Wir haben bereits eine erste gemeinsame Lila erlebt, als ich letztes Jahr mit einer Trancetanz-Gruppe Marrakesch besuchte. Kamal Essahbi, der Sohn einer Ritualleiterin, der hier in der Schweiz lebt, hat uns dies ermöglicht. Die Ritualkundigen sagten uns, ihre Tradition sterbe in Marokko aus, weil moderne Marokkaner lieber zum Psychologen gehen als zur Heilerin. Und weil der Druck zur Anpassung an islamische Rituale und Glaubensformen steige. Deshalb sei vielleicht die Zeit gekommen, das Lila-Ritual nach Europa zu bringen. Aber sie wissen auch, dass sie sich auf ein Wagnis einlassen.

 

Und wie könnte ein Besessenheitsritual funktionieren mit Teilnehmenden, die nicht an Geister glauben und nicht einmal ihre Namen kennen?

Jeder Geist hat eine Farbe; das ist die Brücke. Denn die Farbe übermittelt die spezifische Energie des jeweiligen Geistwesens. Es hat sich bei der erlebten Lila mit den Tanzschülerinnen gezeigt, dass sich die Essenz des Rituals als heilende Kraft überträgt, auch wenn wir dies rational nicht nachvollziehen können. Wie früher auch bei uns die Kirchenbesucher den lateinischen Gottesdienst nicht verstanden und dennoch Trost darin fanden.

 

Sind denn die Trancetanz-Schülerinnen jetzt zu dieser afrikanischen Religion konvertiert? Verfolgst du eine missionarische Absicht?

Nein, ganz im Gegenteil. Wenn es missionarisch wird, stelle ich die Borsten. Trancerituale wurden ja auch nicht nur in Afrika, sondern in fast allen Kulturen entwickelt. Sie verbinden sich leicht mit christlichen oder islamischen Elementen. Im brasilianischen Candomble sind die aus Nigeria stammenden Gottheiten zugleich katholische Heilige. In Gnawa und Hadhra werden einige Geister als Djinn bezeichnet, wie man sie aus dem Koran kennt.

 

In Sure 72 sagen die Djinn von sich selbst: „Unter uns sind die einen rechtschaffen, die anderen nicht.“ Ist es da nicht gefährlich, sich mit ihnen einzulassen?

In der säkularen Welt sind alle Geister zu bösen Dämonen geworden, die es auszutreiben gilt. In Besessenheitsritualen lernen wir, die Geister einzuladen, statt sie zu vertreiben. Sie zu heiraten und uns von ihnen reiten zu lassen. Das mögen sie und das lässt sie freundlicher werden. Die Geister werden erst böse, wenn man sie vernachlässigt.

 

Aber wer oder was sind denn die Geister?

Der Geist eines Menschen ist das Ensemble der Vorstellungen und Ideen, die ihn prägen. Auch der fixen Ideen und Zwänge, die seine Freiheit einschränken. Für den modernen Menschen ist das alles sehr abstrakt. Im Besessenheitsritual nimmt das diffuse Ensemble Gestalt an. Die Vorstellungen, Ideen und Ängste werden zum Teil einer Beziehung. Sie wachsen zusammen  zu einem Wesen, das man ansprechen kann. Dem man sich überlassen kann. Und wenn man sich seinem Geist im Ritual ganz hingeben kann, wird man schrittweise von ihm befreit.

 

Dann ist Trance etwas für Anfänger?

Gewissermassen. Wenn man sieben  Jahre mit seinem Geist verheiratet ist, verliert dieser die Macht über einen. Mein Geist wird zum Teil von mir.

 

Würde das in der Sprache der Psychologie heissen: Es geht um die Integration abgespaltener oder verdrängter Persönlichkeitsaspekte?

Genau. Es geht um Akzeptanz und Ganzwerdung. Immer und überall.

 

Was erwartet mich konkret in der Citykirche St.Jakob, wenn ich am 8. Oktober zur Lila komme?

Der Abend bietet die seltene Möglichkeit, selber in die Kraft dieses Rituals einzutauchen. Es wird eine schrittweise Einführung und Vorbereitung geben, sodass alle Teilnehmenden in Resonanz gehen können zu den Farben und Kräften in der eigenen Seele. Die marokkanischen MusikerInnen werden diesen Prozess der Kontaktaufnahme mit den eigenen inneren Energien unterstützen und begleiten. 

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Kommentare: 2
  • #1

    Margrit Bischof (Samstag, 08 Oktober 2016 16:16)

    Ein beeindruckendes Interview mit ausgezeichneten Fragen und klaren Antworten, die aus unserer Kultur her Stellung beziehen! Wünsche der Lila gutes Gelingen.

  • #2

    Jürg von Ins (Dienstag, 11 Oktober 2016 15:04)

    Liebe Margrit, schön von dir zu lesen! Und danke fürs Kompliment!